Ich bin ein umgänglicher Mensch mit guten Zähnen
Eine Kolumne von Sibylle Berg
Warum weiß heute eigentlich jeder alles besser? Das Internet wurde zum Bestandteil des Lebens und damit jeder zum Auskenner. Das wäre erfreulich, wenn deshalb nicht so viel gemäkelt würde. Ich aber erfreue mich bester Laune - weil mich das Aufstellen seltsamer Thesen zum Schmunzeln bringt.
Dieses Gequatsche. Aus Millionen Blogs, Kolumnen, Aufsätzen redet es uns zu Tode. Hallo Leser, hier ist einer mehr! Wie unendlich kritisch und schlau alle Kommentatoren, Experten, System-, Parteien-, Medien- und Filmkritiker geworden sind. Das Internet wurde zum Bestandteil des Lebens und damit jeder zum Auskenner. Ein Klick, und schon hat man die wundervollsten Zitate von Nietzsche kopiert, Texte von Aristoteles, Wissenswertes aus der Hugenottenschlacht, das den Text zu einem Füllhorn des Wissens macht.
Die Kritiker, das sind Menschen, denen es zu mühsam ist, etwas Konstruktives zum Welterhalt beizutragen, müssen sich kollektiv ins Knie beißen, denn das Auskennen war ihr Privileg. Die Lexika, die Karteikästchen, die Nachschlagewerke, die neben ihren aus Walnussholz geschnitzten Schreibtischen lagen, sind nun nicht mehr als eine Reliquie aus vergangenen Tagen, als es noch Zeitungen aus Papier gab. Und Menschen, die damals noch die Muße hatten, etwas zu lesen, das so klang:
Der allegorische Imperativ, mit dem der Künstler Riebensam gleichsam akkadisches Feuer ekliptischen Reüssierens entfacht, ist in hohem Maße misslungen, misst man seinen Beitrag zur Kunstgeschichte in einem Dantischen Kontext.
Das war mal was. Das wurde gedruckt, gelesen, von anerkennendem Zischen begleitet. Und meinte doch nichts außer: Ich weiß es besser. Heute weiß es jeder besser. Jeder hat eine Meinung, was eigentlich erfreulich sein könnte, wären sie nicht so beliebig, meist mäkelig. Wie, hallo liebe Leser, auch meine Wortbeiträge, die, da es sich bei der Verfasserin um eine Frau handelt, immer auf meinen desolaten Gemütszustand Rückschluss geben.
Ein negativ schreibender Mann ist immer ein Zweifler. Ein Stachel im Getriebe der Gleichschaltung, ein großer Denker. Eine Frau ist schlecht drauf. Normal. Ich möchte Ihnen, auch wenn es Sie nicht interessiert, denn wen interessiert schon wirklich, was er liest, das taugt doch nur, um seine eigene Meinung zu bestätigen oder den Verfasser abzulehnen, sagen, dass es mir hervorragend geht. Ich erfreue mich bester Laune, stecke weder in einer Lebensmitte noch in einer anderen Krise, ich hätte, wenn ich welche besäße, ein hinreißendes Verhältnis zu meinen Haustieren. Kurz - ich bin ein umgänglicher Mensch mit guten Zähnen, den das Aufstellen seltsamer Thesen zum verträumten Schmunzeln bringt.
Thesen ja, Meinungen nein. Es gibt nichts Penetranteres als all die ernsthaften, immer ein wenig beleidigt wirkenden Meinungen, die alle zu allem haben. Weil es das Internet gibt, in dem jeder alles passend zu seiner Meinung zusammensuchen kann. Netzpolitik im Kontext der Französischen Revolution? Der Bundespräsident im Vergleich mit Dadaisten? Kein Problem, schnell ein paar kluge Zeilen kopiert und mit der Wichtigkeit der eigenen Weltsicht verrührt. Egal. Das große Egal, das all die Proteste und Analysen, das Dafür und das Dagegen begleitet, das wie ein feiner Regen auf uns niedergeht, uns das Gefühl großer revolutionärer Freiheit gibt. Während die gesellschaftlichen Zwänge und Regeln, denen wir uns fügen, immer ausufernder werden. Was wollte ich mit diesem Gelaber sagen? Finden Sie es heraus. Bilden Sie sich eine Meinung. Schreiben Sie sie auf. Es wird schon für irgendetwas gut sein.
Eine Kolumne von Sibylle Berg
Warum weiß heute eigentlich jeder alles besser? Das Internet wurde zum Bestandteil des Lebens und damit jeder zum Auskenner. Das wäre erfreulich, wenn deshalb nicht so viel gemäkelt würde. Ich aber erfreue mich bester Laune - weil mich das Aufstellen seltsamer Thesen zum Schmunzeln bringt.
Dieses Gequatsche. Aus Millionen Blogs, Kolumnen, Aufsätzen redet es uns zu Tode. Hallo Leser, hier ist einer mehr! Wie unendlich kritisch und schlau alle Kommentatoren, Experten, System-, Parteien-, Medien- und Filmkritiker geworden sind. Das Internet wurde zum Bestandteil des Lebens und damit jeder zum Auskenner. Ein Klick, und schon hat man die wundervollsten Zitate von Nietzsche kopiert, Texte von Aristoteles, Wissenswertes aus der Hugenottenschlacht, das den Text zu einem Füllhorn des Wissens macht.
Die Kritiker, das sind Menschen, denen es zu mühsam ist, etwas Konstruktives zum Welterhalt beizutragen, müssen sich kollektiv ins Knie beißen, denn das Auskennen war ihr Privileg. Die Lexika, die Karteikästchen, die Nachschlagewerke, die neben ihren aus Walnussholz geschnitzten Schreibtischen lagen, sind nun nicht mehr als eine Reliquie aus vergangenen Tagen, als es noch Zeitungen aus Papier gab. Und Menschen, die damals noch die Muße hatten, etwas zu lesen, das so klang:
Der allegorische Imperativ, mit dem der Künstler Riebensam gleichsam akkadisches Feuer ekliptischen Reüssierens entfacht, ist in hohem Maße misslungen, misst man seinen Beitrag zur Kunstgeschichte in einem Dantischen Kontext.
Das war mal was. Das wurde gedruckt, gelesen, von anerkennendem Zischen begleitet. Und meinte doch nichts außer: Ich weiß es besser. Heute weiß es jeder besser. Jeder hat eine Meinung, was eigentlich erfreulich sein könnte, wären sie nicht so beliebig, meist mäkelig. Wie, hallo liebe Leser, auch meine Wortbeiträge, die, da es sich bei der Verfasserin um eine Frau handelt, immer auf meinen desolaten Gemütszustand Rückschluss geben.
Ein negativ schreibender Mann ist immer ein Zweifler. Ein Stachel im Getriebe der Gleichschaltung, ein großer Denker. Eine Frau ist schlecht drauf. Normal. Ich möchte Ihnen, auch wenn es Sie nicht interessiert, denn wen interessiert schon wirklich, was er liest, das taugt doch nur, um seine eigene Meinung zu bestätigen oder den Verfasser abzulehnen, sagen, dass es mir hervorragend geht. Ich erfreue mich bester Laune, stecke weder in einer Lebensmitte noch in einer anderen Krise, ich hätte, wenn ich welche besäße, ein hinreißendes Verhältnis zu meinen Haustieren. Kurz - ich bin ein umgänglicher Mensch mit guten Zähnen, den das Aufstellen seltsamer Thesen zum verträumten Schmunzeln bringt.
Thesen ja, Meinungen nein. Es gibt nichts Penetranteres als all die ernsthaften, immer ein wenig beleidigt wirkenden Meinungen, die alle zu allem haben. Weil es das Internet gibt, in dem jeder alles passend zu seiner Meinung zusammensuchen kann. Netzpolitik im Kontext der Französischen Revolution? Der Bundespräsident im Vergleich mit Dadaisten? Kein Problem, schnell ein paar kluge Zeilen kopiert und mit der Wichtigkeit der eigenen Weltsicht verrührt. Egal. Das große Egal, das all die Proteste und Analysen, das Dafür und das Dagegen begleitet, das wie ein feiner Regen auf uns niedergeht, uns das Gefühl großer revolutionärer Freiheit gibt. Während die gesellschaftlichen Zwänge und Regeln, denen wir uns fügen, immer ausufernder werden. Was wollte ich mit diesem Gelaber sagen? Finden Sie es heraus. Bilden Sie sich eine Meinung. Schreiben Sie sie auf. Es wird schon für irgendetwas gut sein.